Als Hirse auf den Speiseplan des Menschen kam

Gebrauchsgegenstände wie Werkzeuge, Waffen oder Schmuck wurden etwa ab 1800 vor Christus erstmals in der Geschichte der Menschheit aus Bronze hergestellt – die Erfindung dieser Legierung gab der Epoche ihren Namen. Doch die Veränderungen in diesem etwa 600 Jahre umfassenden Zeitraum reichen noch viel weiter, sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Sonder­forschungs­bereich (SFB) 1266 „TransformationsDimensionen – Mensch-Umwelt Wechselwirkungen in Prähistorischen und Archaischen Gesellschaften“ der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) überzeugt. In einer Siedlungsgrabung in der Nähe des polnischen Dorfes Bruszczewo identifizierte ein internationales Team unter Beteiligung des Kieler SFB erstmals Rückstände von Rispenhirse (Panicum miliaceum) mithilfe von chemischen Methoden. Sie erschließen erstmals Veränderungen der Esskultur der Späten Bronzezeit. Das Forschungsteam spricht von einer Ernährungsrevolution und veröffentlichte seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature Scientific Reports.

Hirse erschien in der Bronzezeit auf dem Speiseplan des Menschen. Darauf lassen jetzt entdeckte Funde in der deutsch-polnischen Siedlungsgrabung Bruszczewo schließen, die vom Kieler Professor Johannes Müller und Professor Janusz Czebreszuk von der Partneruniversität Pozna? geleitet wird. Hirse kann damit als Zeitmarker für die Späte Bronzezeit dienen. Das Forschungsteam vom SFB 1266 um Professor Johannes Müller, Professorin Wiebke Kirleis und Dr. Jutta Kneisel fand in der von der Frühen bis zur Späten Bronzezeit bestehenden Siedlung Gefäße mit Rückständen von gekochter Nahrung – in die Keramik eingebrannten Hirsebrei. Dadurch blieb sie so gut erhalten, dass sie noch heute untersucht werden kann. Gemeinsam mit dem Organischen Chemiker und Archäologen Professor Carl Heron, der als Humboldt Research Fellow an der Kieler Johanna-Mestorf-Akademie zu Gast war, untersuchten sie die Nahrungsreste mit modernen chemischen Methoden.

„Heron analysierte die organischen Rückstände und erschloss uns damit auf molekularer Ebene das ‚Archiv der Speisekruste‘“, sagt Kirleis, Co-Sprecherin des SFB 1266. Bisher wurden Analysen von Speiseresten vor allem genutzt, um tierische Nahrungsmittel zu identifizieren, nicht aber pflanzliche. Es sei somit das erste Mal, dass auf molekularer Ebene mit Hirse ein Getreide als menschliches Nahrungsmittel eindeutig auf die Späte Bronzezeit datiert werden konnte, betont Kirleis weiter. Die Forscherinnen vermuten, dass Hirse in dieser Zeit mit mobilen Gruppen über die Seidenstraße aus Fernost nach Mitteleuropa kam. „Hirse ist ein spannendes und einzigartiges Getreide. Es wächst extrem schnell und quillt beim Kochen stark auf. Es könnte daher besonders gut für eine mobile Lebensweise geeignet gewesen sein“, vermutet die Archäobotanikerin.

Der Hirsefund lässt auf eine Reihe von Transformationsprozessen am Übergang zur Späten Bronzezeit schließen. Kneisel und Kirleis sprechen von einer dritten Ernährungsrevolution, die nach der Einführung von Ackerbau und Nutztierhaltung und später der Nutzung sekundärer Tierprodukte wie Milch erfolgte: In der Spätbronzezeit kam es offenbar zu einer Diversifizierung in der Ernährung und Landwirtschaft. „Hirse kam als kleinfrüchtiges Getreide zu den bereits genutzten Weizenarten und der Gerste hinzu. Dank ihrer kurzen Vegetationsperiode wurde der Ackerbau damit besser auf Krisen ausgerichtet und die Grundversorgung der Bevölkerung abgesichert“, so die Archäologin Kneisel. Funde von verkohlten Getreideresten waren in der Archäologie bereits bekannt, aber Hinweise auf die Zubereitung und damit die Nutzung durch den Menschen gab es bisher nicht. Da es sich um angebrannte Speisereste handelt, ist jetzt sicher, dass Hirse gekocht und nicht als Viehfutter eingesetzt wurde.

Das erweiterte Spektrum an Nahrungsmitteln ermöglichte in der Späten Bronzezeit das Herausbilden von Präferenzen. Menschen konnten häufiger auswählen, was sie essen wollten. Zur gleichen Zeit wurden auch die Formen der hergestellten Keramiken vielfältiger. Insgesamt deutet das Forschungsteam dies als Hinweise darauf, dass sich die Rolle der Ernährung in der Spätbronzezeit änderte und auch eine neue soziale Funktion übernahm. „Nicht nur die Metallverarbeitung spielte eine Rolle, sondern auch die Kultur des Essens. Es diente nun nicht mehr allein der Existenzsicherung, sondern verstärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, so Kneisel weiter.

Quelle: First molecular and isotopic evidence of millet processing in prehistoric pottery vessels. Carl Heron, Shinya Shoda, Adrià Breu Barcons, Janusz Czebreszuk, Yvette Eley, Marise Gorton, Wiebke Kirleis, Jutta Kneisel, Alexandre Lucquin, Johannes Müller, Yastami Nishida, Joon-ho Son & Oliver E. Craig, Nature Scientific Reports 6, Article number: 38767 (2016) doi:10.1038/srep38767.

Text: Julia Siekmann (Uni Kiel), Foto: © Uni Kiel

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