Haengematte unter Palmen

Buchrezension zu Timothy Ferris „Die 4-Stunden-Woche“

Der US-Amerikaner Timothy Ferris wurde im Jahre 1977 in East Hampton, im Bundesstaat New York, geboren. Nach einem Studium der Ostasienwissenschaften an der renommierten Princeton-Universität, begann Ferris im Jahre 2001 schließlich seine unternehmerische Karriere, indem er eine Online-Firma für Nahrungsergänzungsmittel gründete, die er dann mit Erfolg und Gewinn im Jahre 2010 wieder veräußerte. Seither ist er als sogenannter Business Angel, Autor, Entertainer und Berater diverser Startups weltweit etabliert. Inzwischen ist er Mitglied des renommierten Aspen-Institutes, Inhaber mehrerer Preise und gilt zugleich als siebent einflussreichste Online-Persönlichkeit der virtuellen Welt. Als Autor wurde Timothy Ferris insbesondere dank seiner drei sogenannten „Vierer-Bücher“ bekannt. Hierzu gehören, in chronologischer Reihenfolge ihres Erscheinens, „Die 4-Stunden-Woche“ (The 4-Hour Workweek), „Der 4-Stunden-Köper“ (The 4-Hour Body) sowie „The 4-Hour Chief“. Die erstgenannten beiden Titel schafften es, unter anderem in die Bestsellerliste der „New York Times“ zu gelangen.

Das Pareto-Prinzip: Die Grundaussage der „4-Stunden-Woche“

Das Pareto-Prinzip (80 % aller Ergebnisse lassen sich mit nur 20 %) des Gesamtaufwandes erreichen und die Parkinsonschen Gesetze zum Bürokratenwachstum aus dem Jahre 1955, zum Beispiel „Arbeit dehnt sich exakt in demjenigen Maße aus, wie viel Zeit ihr jeweils zur Verfügung steht“, bilden die Essenz der „4-Stunden-Woche“ und auch aller späteren von Ferris verfassten Sachbücher.

Ferris vertritt hier vehement die Meinung, dass moderne Kommunikationssysteme und digitale Kommunikationsformen das Leben nur komplizierter machen, anstatt es zu vereinfachen und schöner erscheinen zu lassen. Als Antwort auf diese Feststellung kreiert er in der „4-Stunden-Woche“ ein sogenanntes Lifestyle Design, welches in einer Forderung nach regelmäßigen Mini-Ruheständen gipfelt, die er als probate und wohlfeile Alternative zu einem Arbeitsleben feiert, bei welchem man von 9:00 bis 17:00 Uhr sklavisch einem Broterwerb nachgehen muss und das wirkliche Leben und Erleben dann auf die Zeit ab Mitte der 60-er Jahre, nach Erreichen des Rentenalters, aufgeschoben wird. Ferris gut gemeinte Aussage mag paradiesisch klingen, doch übersieht er dabei, dass die Masse der Menschen in unseren westlichen entwickelten Industrie- und Konsumnationen durch die Macht des Faktischen dazu gezwungen ist, ein „aufgeschobenes Leben“ zu führen und täglich, außer samstags und sonntags, einem Broterwerb von 9:00 bis 17:00 Uhr nachgehen muss, um Kinder zu ernähren und zu kleiden, selbst in angemessenem Maße an den Segnungen der Zivilisation teilhaben zu können und Vorsorge für die Zeit des Ruhestandes treffen zu können. Das von Ferris in der „4-Stunden-Woche“ propagierte Bohemien-Dasein, des nur gelegentlichen Arbeitens, während man in der übrigen Zeit beispielsweise reist oder Ferien macht, bis einem das ersparte Geld einmal ausgeht, passt ohnehin nicht zu den Anforderungen, die heute Personalchefs an die Erwerbsbiografien der ihnen im Einstellungsgespräch gegenüber sitzenden Bewerber stellen und lässt sich wohl auch kaum mit den Karriereentwürfen der meisten Zeitgenossen vereinbaren. Gesünder wäre der Lebens- und Karriereentwurf von Timothy Ferris wohl angesichts der im Berufsleben ausgebrannten Menschen und der steigenden Zahl der von Herzinfarkten Betroffenen zwar allemal. Doch stellt sich hier wiederum die Frage der generellen Machbarkeit, auch dann, wenn man bereit ist, sich im Leben mit wenig zu begnügen. Und so wirkt Ferris Entwurf letztendlich eher wie die Illusion eines reichen jungen Mannes, der es selbst gar nicht mehr nötig hat, zu arbeiten und dadurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ein Gegenentwurf also zur tradierten westeuropäischen Erwerbsbiografie, wie er an das Clochard-Dasein eines Jack London in „Abenteurer des Schienenstranges“ von 1907 oder an Jack Kerouacs „On the Road“, der Bibel der sogenannten Beat Generation, erinnert.

Ferris Warnung vor Informationsüberflutung und Empfehlung von selektiver Ignoranz

Ferris bekanntestes Buch, „Die 4-Stunden-Woche“ erschien im Jahre 2007 im bekannten amerikanischen Verlag Random House Inc. in New York City. Eine zentrale und irgendwie fortschrittsfeindlich, ja geradezu maschinenstürmerisch anmutende Aussage Ferris, ist seine in dem Buch immer wieder auftauchende Warnung vor einer drohenden individuellen und auch gesamtgesellschaftlichen Informationsüberflutung durch Medien und moderne Technologien wie beispielsweise E-Mails, Blackberrys, Instant Messaging und internetfähige PDAs, die er geradezu als Bedrohungen empfindet. Stattdessen, statt der Nutzung der heute oft unumgänglichen digitalen Medien, rät Ferris den Menschen zu demonstrativer selektiver Ignoranz, empfiehlt das bereits erläuterte persönliche Lifestyle Design, also das periodische Unterbrechen der beruflichen Karriere, um zu reisen, zu faulenzen, die Seele baumeln zu lassen oder ganz einfach gar nichts zu tun. Der weltfremd oder gar snobistisch anmutende Ratschlag, den nur einer zu geben vermag, der entweder sehr reich ist oder aber, der sich beharrlich weigert, an das Morgen oder gar an sein Rentenalter zu denken, erinnert sogar entfernt an den Ausspruch des Reichsmarschalls Hermann Göring („Wenigstens 12 Jahre anständig gelebt!“), sofern man bereit ist, Leben und Lebensqualität mit Nichtstun und möglicherweise auch mit der absoluten Freiheit von materiellen Besitztümern gleichzusetzen und auf Karriere und berufliche Selbstverwirklichung zu verzichten. Beinahe schon könnte man gar geneigt sein, Ferris Buch als Beschwichtigung für all die Gescheiterten, die Obdachlosen und Clochards dieser Welt zu interpretieren, wonach Besitz- und Erfolglosigkeit gleichzusetzen ist mit der Freiheit von Sorgen, Besitz und Erfolg und auch möglicherweise mit der fundamentalen und krank machenden Angst, all dies auch wieder verlieren zu können. Als massenwirksamer Lebensentwurf erscheint hingegen Ferris gutgemeinter Ratschlag letztendlich wenig tauglich und zudem extrem kontraproduktiv in Bezug zu den allgemeinen Anforderungen einer turbokapitalistischen Leistungsgesellschaft, die den Wert eines Menschen leider allzu häufig nur an seinem Bankkonto und an seiner beruflichen Stellung festzumachen trachtet. Nicht minder lebensfremd wirkt in diesem Zusammenhang auch der Ratschlag Ferris, man möge sich in den westlichen Industrienationen, anstatt auf Blackberry, Laptop & Co. zu setzen, doch lieber einen virtuellen Assistenten aus Indien einstellen. Dies kann nur einer postulieren, der nicht weiß, dass es in Indien höchstens 300 Millionen Menschen gibt, denen es wirtschaftlich gut geht und die intellektuell überhaupt dazu in der Lage wären, sich als virtuelle Assistenten zu verdingen, während stattdessen mehr als 800 Millionen Inder bitter arm sind, kaum wissen, was ein Computer ist, oft Hunger leiden und auf dem Land leben, wo sie als Tagelöhner in der Landwirtschaft arbeiten müssen.

Wasser predigen und Wein trinken?

Sowohl die Details und die Aggressivität seiner Vermarktung von „Die 4-Stunden-Woche“, wie auch seine persönlichen Lebensumstände, erwecken beim kritischen Leser alsbald den Eindruck, hier schreibt einer, nämlich Ferris, der öffentlich das Wasser trinken predigt, während er selbst stillschweigend nur allzu gern dem Wein zuspricht.

So forcierte Ferris den Vertrieb seines Buches auf alle nur erdenkliche Art und Weise. Beispielsweise auch durch diverse Blogger, mit denen er unmittelbar befreundet war. War er vor dem Erscheinen von „Die 4-Stunden-Woche“ ein Nobody, so erreichte er mit der Rezeption des Buches sukzessive eine gewisse Berühmtheit, ja sogar den Status einer Art von modernem Guru. Ferris genoss es sichtlich, dass sein Buch den ersten Platz in der Bestsellerliste der renommierten „New York Times“ und im Wall-Street Journal erreichte. Es wird geschätzt, dass aktuell annähernd 1,4 Millionen Kopien des Buches über den Ladentisch gegangen sind, was den Verlag Random House bereits Ende 2009 dazu veranlasste, das Buch in einer erweiterten und ergänzten Version als sogenanntes Update erneut heraus zu geben. Ferris selbst betreibt inzwischen im Internet einen gleichnamigen Block und brüstete sich in einem Interview damit, sein Buch werde heute von den wichtigen CEOs der großen Technik-Unternehmen gelesen.

Timothy Ferris: Die 4-Stunden-Woche. Mehr Zeit, mehr Geld, mehr Leben

Auch in Deutschland ist Ferris Buch inzwischen im Ullstein Verlag als Taschenbuch erschienen und erfreut sich großer Beliebtheit.

Nach einem Vorwort, indem er die tradierte westliche Art des Lebens und Arbeitens als eine Art von Pathologie klassifiziert, rät er im 1. Kapitel „D – wie Definition“ zum Reseten des persönlichen Werte- und Lebenssystems und zum Ändern aller geltenden Regeln. Vor allem jedoch zum Überbordwerfen sämtlicher Ängste, denen er das rauschhafte Verpulvern von einer Million Dollar in nur einer einzigen Nacht gegenüber stellt.

Mit „E – wie Eliminieren“ hat der Autor sein 2, Kapitel überschrieben. Und er fordert hier nicht weniger als die Ausmerzung des gesamten persönlichen Zeitmanagements, die Kultivierung persönlicher selektiver Ignoranz und vor allem das Erlernen der einmaligen Kunst, immer wieder auch einmal laut und vernehmlich Nein zu sagen.

„A – wie Automation“ lautet schließlich die Überschrift des 3. Kapitels des Buches, wobei Ferris hier allen Ernstes vorschlägt, man solle einen „Einkommens-Autopiloten“ einschalten, sein Leben outsourcen, seine persönliche Muse finden, um schließlich MBA als Management by Abwesenheit zu leben und zu praktizieren.

Das letzte inhaltlich und thematisch vollwertige Kapitel ist schließlich überschrieben mit „L – wie Liberation“ und lehrt den Leser die Kunst, aus seinem Büro und aus seinem Job zu entkommen, im neu gewonnen Mini-Ruhestand das mobile Leben zu entdecken, Arbeit durch Leben zu ersetzen und die 13 häufigsten Fehler der Neureichen zu vermeiden.

Wer die Majuskeln der Anfangsbuchstaben der großen Kapitel aneinander reiht, erhält so das Wort DEAL und tatsächlich schlägt Ferris mit dem Buch dem gestressten Individuum so etwas vor, wie einen DEAL. Karl Marx hat in seiner Lehre stets davon gesprochen, dass das Individuum sich im Kommunismus von den Fesseln der Arbeit befreien würde und genau dies schlägt uns Ferris hier ebenfalls vor. Er hat scheinbar seine Marx sehr genau gelesen, denn sein DEAL besteht darin, Arbeitsstress durch Freiheit und Leben zu ersetzen.

Fazit: Gegenentwurf und Ratgeber für Aussteiger und alle, die den Mut haben, es zu werden

Auf alle, die im Hamsterrad eines Broterwerbs gefangen sind, mag Ferris Buch eine zwiespältige Wirkung haben. Einerseits wirkt es wie ein modernes Märchen, verfasst von einem reichen amerikanischen Jungen, einem Dandy, der selbst jeglichen Zwängen zum Broterwerb glücklich enthoben ist und der deshalb klug daher reden kann. Andererseits ist es durchaus auch ein Mutmacher und eine kluge Anleitung zum gelegentlichen oder auch zum generellen Nein sagen. Zweifellos zeigt uns Ferris hier auf, das menschlicher Lebensinhalt während seiner singulären und leider stets viel zu schnell verrinnenden Lebensspanne nicht allein darin bestehen kann und darf, arbeiten zu gehen, dabei unermüdlich Geld zusammenzuraffen und letztendlich vielleicht sogar deswegen krank zu werden. Insofern legt uns Ferris auf seine ganz eigentümliche anglo-amerikanische Art nahe, weniger oder auch gar nicht mehr arbeiten zu gehen, sondern stattdessen einfach zu leben, weil Leben nämlich das Wesentlichste und zugleich auch Elementarste in unserem Dasein ist. Insofern also durchaus ein Buch mit einer wichtigen und richtigen Botschaft, allerdings in einer etwas eigentümlichen Verpackung. Denn zum Leben bedarf es leider in einer entwickelten westlichen Industrienation und Geldwirtschaft immer auch vor allem eines, nämlich des Geldes.

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