Leider wahr, Kommentar zur Verfassungsbeschwerde gegen die Bankenunion von Bernd Wittkowski

Frankfurt – Noch 98 Tage bis zur europäischen Bankenunion: Am 4. November soll die gemeinsame Aufsicht unter Federführung der EZB als erste Stufe des Jahrhundertprojekts starten, das in seiner Tragweite durchaus mit der 1999 aus der Taufe gehobenen Währungsunion vergleichbar ist. Aber hoppla, ist das überhaupt erlaubt?

Die Initiative „Europolis“ um den Berliner Finanzprofessor Markus C. Kerber meint: nein. Sie hat Verfassungsbeschwerde gegen die der Bankenunion zugrundeliegenden Rechtsverordnungen und gegen das Zustimmungsgesetz zur Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB angekündigt. Sie will zudem gegen den einheitlichen Abwicklungsmechanismus und den Bankenabwicklungsfonds vorgehen. Die Beschwerdeführer zweifeln (und verzweifeln) offenbar am deutschen Parlamentarismus in den Zeiten einer großen Koalition: Hier werde ein Vorhaben von der Bundesregierung betrieben und vom Bundestag kaum beachtet, das eine Vergemeinschaftung von Bankenrisiken beinhalte, die weit über alle bisherigen Rettungsfonds hinausgehe.

Das ist leider wahr. Man mag die Bankenunion für notwendig und sinnvoll, gar für überfällig halten: Sie ist ja in der Tat eine folgerichtige Absicherung des Binnenmarktes und der Währungsunion, soll dazu dienen, den Teufelskreis zwischen Bankenkrise und Staatsschuldenkrise zu durchbrechen und hätte direkt „nach Maastricht“ in Angriff genommen werden müssen. Des Beweises aus der aktuellen Krise, die deutlicher denn je vor Augen führt, wozu ein Flickenteppich nationaler Regeln und Aufsichtsregime führt, hätte es gar nicht mehr bedurft.

Aber ist es vermessen, zumal angesichts der auf Bankkunden und Steuerzahler zukommenden grenzübergreifenden Haftungsrisiken, daran zu erinnern, dass wir in einem Rechtsstaat leben, der nicht immer wieder durch eine Art Notstandsregime unterlaufen werden darf? Der Zweck – Krisenmanagement – heiligt eben nicht jedes Mittel. Und der als Rechtsgrundlage der Bankenunion missbrauchte Artikel 127 (6) des EU-Vertrages besagt in für Juristendeutsch ungewöhnlicher Klarheit, dass eine weitreichende oder gar komplette Übertragung von Bankaufsichtskompetenzen auf die EZB gerade nicht zulässig ist – eine Meinung, die übrigens auch das Research der Deutschen Bank vertreten hat.

Nötig wäre eine Vertragsänderung. Doch diesen Versuch haben Regierungen und Parlamente erst gar nicht gewagt. „Eine Instabilität des Rechts wiegt schwerer als eine Instabilität der Finanzen „, hat der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof gesagt. Wie recht er hat.

Quelle: ots

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