Wackliger Riese, Kommentar zu Thyssenkrupp von Christoph Ruhkamp

Für Heinrich Hiesinger wird es langsam eng. Der Vorstandschef von Thyssenkrupp muss immer mehr Einfallsreichtum zeigen, um den eigenkapitalschwachen Konzern einigermaßen in der Balance zu halten und den Umbau schnell genug vorantreiben, damit die bilanzielle Schwäche nicht offenbar wird. Deshalb jagt ein Kostensenkungsprogramm das nächste. Nach der Stahlsparte, die ihre Kapitalkosten nicht verdient und eine halbe Milliarde Euro einsparen soll, ist nun der schwächelnde Anlagenbau dran, der die Kosten um eine Viertelmilliarde drücken muss.

Das verstärkt den Eindruck, dass Thyssenkrupp – trotz zwischenzeitlicher Erfolgsmeldungen über Milliardenaufträge für Kriegsschiffe und für elektrische Lenkungen in teilautomatisierten Autos – beim Umbau des Traditionsunternehmens zum modernen Industriekonzern nur langsam vorankommt. Trotz guter Konjunktur wird das Unternehmen im laufenden Geschäftsjahr erstmals seit vier Jahren – wegen der Abschreibung auf das verkaufte Brasilien-Stahlwerk – unter dem Strich wieder deutlich rote Zahlen schreiben und erwartet einen Mittelabfluss im operativen Geschäft in dreistelliger Millionenhöhe.

Es gibt zwar auch Lichtblicke: Weil das Geschäft mit Aufzügen und Automobilkomponenten ganz gut läuft, legt der operative Konzerngewinn laut Prognose auf 1,8 Mrd. Euro zu. Das ist aber auch bitter nötig: Die Schulden sind mit 5,8 Mrd. Euro zweieinhalbmal so groß wie das Eigenkapital. Den Konzern drücken enorme Pensionslasten.

Die Anzeichen für eine besorgniserregende bilanzielle Schwäche waren zeitweise so virulent, dass Hiesinger sich vor einigen Monaten gezwungen sah, öffentlich zu negieren, dass der Konzern eine Kapitalerhöhung bräuchte. Während der mit knapp 20 Prozent am Konzern beteiligte Finanzinvestor Cevian wohl mitziehen würde, blockiert die mit einer faktischen Sperrminorität von 23 Prozent beteiligte Krupp-Stiftung bisher einen solchen Schritt, weil sie ihn sich nicht leisten kann und in Folge an Einfluss verlieren würde. Dabei hatte die Hauptversammlung 2014 den Vorstand ermächtigt, das Grundkapital bis 2019 um bis zu 3,7 Mrd. Euro zu erhöhen, sofern der Aufsichtsrat zustimmt.

Am Kapitalmarkt scheinen die Investoren weiter daran zu glauben, dass Hiesinger den Konzern auch ohne Kapitalspritze wieder flottmacht. Die Marktkapitalisierung hat sich binnen fünf Jahren verdoppelt auf 14 Mrd. Euro. Viel hängt jetzt von der Konjunktur ab. Einen Abschwung kann sich Thyssenkrupp nicht leisten.

Quelle: Börsen-Zeitung

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